Dokumentation in 3 Teilen, Folge 1–3

  • Folge 1
    Der größte Arbeitgeber in der heimischen Pharmaindustrie verdient seine Gehälter und Dividenden mit Blutprodukten – und das ist kein Zufall. Denn die Arbeit mit dem menschlichen Lebenssaft war schon an der Schwelle zwischen 19. und 20. Jhd. eine Domäne der österreichischen Medizin. Nicht nur der in Baden bei Wien geborene Arzt Karl Landsteiner, der als Entdecker von Blutgruppen und Rhesusfaktor den Medizinnobelpreis erhielt, war hier in der Forschung führend. Auch das Blutbad des Ersten Weltkriegs verlangte von der Medizin außerordentliche Leistungen und brachte Neuerungen und Erkenntnisse, die ab der Zwischenkriegszeit gerade in Österreich auch der Zivilbevölkerung zu Gute kamen – Stichwort Sozialmedizin und Rotes Wien.
    Die globale Katastrophe des Krieges brachte aber auch einen Schub für die Seuchenmedizin, die am Ende mit der ersten wirklichen Pandemie konfrontiert war und die Parallelen zur aktuellen Pandemie, die aus einer ganz anderen Version der Globalisierung hervorgegangen ist, sind eindrucksvoll und verblüffend. Zwischen 20 und 50 Millionen Menschen verstarben in den Jahren zwischen 1918 und 1920 an der Spanischen Grippe, die prominentesten Opfer in Österreich waren Egon Schiele und Kaiser Karl I. Zur rasanten Ausbreitung der Pandemie trug die Mangelernährung als Folge des Weltkrieges genauso bei, wie die elenden Hygienebedingungen, unter denen große Teile einer verarmten Bevölkerung leben mussten.
    Dies rief in Wien eine Reihe von Ärzten auf den Plan, die als die Begründer der Sozialmedizin in Wien gilt, u.a. den Anatom Julius Tandler. Julius Tandler war einer jener Ärzte und Forscher, die wegen des zunehmenden Antisemitismus in Österreich unter der Regierung Dollfuß ab 1933 ins Exil gingen.
    Mit der Vertreibung und Ermordung jüdischer Ärzte und Forscher begann ein unglaublicher Aderlass an medizinischem Wissen: Zahlreiche, in den USA und anderen Staaten der Welt hochdekorierte Exil-Österreicher, darunter auch Nobelpreisträger, zeugen davon, z.B. Eric Kandel oder Otto Löwi. Es ist einem ungewöhnlichen Paar zu verdanken, dass die Tradition der Medizin mit Schwerpunkt Blut in der Nachkriegszeit wiederaufleben konnte. Ein Unternehmer und eine Forscherin, das Ehepaar Eibl, gründeten das Unternehmen Immuno, das später in einem weltumspannenden, japanischen Konzern aufging, der heute weltweit führend mit Blutprodukten arbeitet.
    Aber die Jahrzehnte dazwischen bieten eine wechselvolle und spannende Geschichte. Angefangen von der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Kinderlähmung, über die Entwicklung von Medikamenten, die Hämophiliekranken zu einer verdreifachten Lebenserwartung verhelfen konnten, bis hin zur Entwicklung des Impfstoffes gegen FSME. 1956 gelang es Hans Moritsch, das FSME-Virus aus fünf Zecken zu isolieren.
    Der Wiener Virologie-Pionier Christian Kunz entwickelte daraufhin im Jahr 1973 einen Impfstoff. Seine Versuche, internationale Pharmaunternehmen für die industrielle Herstellung und Vermarktung zu gewinnen, scheiterten jedoch. Die Wiener Immuno AG sprang ein und führte den Impfstoff zur industriellen Reife. Bis heute wird dieser Impfstoff in Orth/​Donau hergestellt, in einer Forschungs- und Produktionsstätte, die Hans und Martha Eibl gegründet haben. Aber die Geschichte der Blutforschung ist nicht frei von Rückschlägen: Hepatitis C und HIV als neue Krankheiten wurden durch Blut- und Plasmaspender verbreitet.
    Was folgte war eine Phase der medizinischen Diskriminierung, von der Betroffene bedrückende Geschichten zu erzählen haben. Die hektischen Forschungen nach einem Impfstoff gegen die vermeintliche „Schwulenseuche“ führten auch dazu, dass Schimpansen im Versuchslabor des Pharmakonzerns Immuno in Tierversuchen mit HIV- und Hepatitisviren infiziert wurden. Diese Probleme sind heute überwunden, und Österreich hat bei Blutprodukten eine Spitzenstellung, ganz in der Tradition von Nobelpreisträger Landsteiner. (Text: ARD alpha)
    Deutsche TV-PremiereSa 08.07.2023ARD alphaOriginal-TV-PremiereSa 15.10.2022ORF III
  • Folge 2
    An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam die Physik in die Medizin. Die erste medizinische Röntgenaufnahme der Welt wurde in Wien präsentiert und viele Pioniere der Bildgebung und der Strahlenmedizin waren Österreicher, nicht wenige zahlten einen hohen Preis für ihre Erkenntnisse. Guido Holzknecht (er entwickelte u.a. das Dosimeter, das heute noch im medizinischen Bereich unverzichtbar ist) starb nach langem Leiden und vierundsechzig verstümmelnden Operationen wegen Strahlenschäden 1931 an Krebs. Der Physiker Victor Franz Hess verlor wenigstens nur einen Daumen als er sich bei gewagten Ballonfahrten in großer Höhe mit der Erforschung der kosmischen Strahlung befasste, wofür er 1936 den Nobelpreis erhielt.
    Im Ersten Weltkrieg leitete Hess die Röntgenabteilung eines Reservelazaretts und exportierte sein Wissen bereits in den 1920er-Jahren in die USA, wo er an der Erforschung der medizinischen Anwendung von Radium arbeitete. Anton von Eiselsberg wiederum erhob die Röntgenologie zur selbständigen Wissenschaft. Während des Ersten Weltkriegs war Eiselsberg als Operateur an den Fronten tätig und nahm größten Einfluss auf die Kriegschirurgie.
    Die Röntgenstrahlen bewiesen dann auch die Wirksamkeit der neuen Heilverfahren, mit denen Adolf Lorenz weltberühmt und wohlhabend wurde: Der Vater des Nobelpreisträgers Konrad Lorenz war einer der ersten Orthopäden Europas. Mit den von ihm erfundenen Methoden zur unblutigen Behandlung von Klumpfüßen und Hüftdysplasien wurde er nicht nur in Österreich, sondern auch in den USA zu einem vielbeschäftigen Arzt und dort nicht weniger berühmt als Albert Einstein. Zu Beginn des 1.WKs richtet Lorenz die erste Orthopädische Abteilung am AKH ein.
    Mit Röntgenapparaten entwickelte zu dieser Zeit auch Lorenz Böhler an der Alpenfront die Grundlagen der modernen Unfallchirurgie. Julius Hochenegg wiederum verbesserte die Krebschirurgie, errichtete ein Röntgeninstitut und gründete 1909 mit Anton Eiselsberg die ersten Unfallstationen der Welt an der I. und II. Univ.-Klinik für Chirurgie im AKH. Mit mehreren Kollegen gründete er 1910 die k&k österreichische Gesellschaft für Erforschung und Bekämpfung der Krebskrankheit, die Vorläuferorganisation der Österreichischen Krebshilfe.
    Ein Nachfolger dieser Mediziner ist Christoph Zielinski, der 1998 die Patienteninitiative „Leben mit Krebs“ zur Enttabuisierung von Krebserkrankungen gründete. Krebsbehandlung und Strahlen gehen also Hand in Hand. Die medizinische Anwendung eines weiteren bildgebenden Verfahrens wurde ebenfalls von einem Österreicher entdeckt: Der Wiener Neurologe Karl Dussik erforschte während des 2. Weltkrieges unter schwierigsten Umständen die Möglichkeiten zur Diagnostik mittels Ultraschall.
    Er war der erste Arzt, der diese – eigentlich aus dem militärischen Bereich stammende – Technologie einsetzte, um in menschliches Gewebe „hineinschauen“ zu können. Aus der Zweckgemeinschaft von Medizin und Physik wuchs die heutige High-Tech-Medizin und österreichische Unternehmen haben hier bis heute Spitzenpositionen. In Treibach-Althofen arbeitet ein vom Physiker und Erfinder des Glühstrumpfs Auer-Welsbach gegründetes Unternehmen an den Grundstoffen für künstliche Gelenke, Zahnimplantate aber auch an neuen Methoden für die Krebstherapie.
    Treibacher entwickelt Elektroden, die Wechselfelder unter der Schädeldecke erzeugen und so das Wachstum von Gehirntumoren bremsen oder stoppen können. Und auch bei Medaustron in Wiener Neustadt wird die enge Verbindung von Physik und Medizin heute für High-Tech-Behandlungen genutzt. Vor der Tumorbehandlung mit Ionenstrahlen legt ein dafür entwickelter Spezialroboter auf einen halben Millimeter genau die exakte Positionierung der Patienten fest. Ohne die bahnbrechenden Arbeiten der physikbegeisterten österreichischen Ärzte vor mehr als hundert Jahren, wäre all das undenkbar. (Text: ARD alpha)
    Deutsche TV-PremiereSa 15.07.2023ARD alphaOriginal-TV-PremiereSa 15.10.2022ORF III
  • Folge 3
    Aus der Wiener medizinischen Schule wuchsen Spitzenleistungen und Nobelpreisträger. Robert Barany war HNO-Spezialist und der erste österreichische Medizin-Nobelpreisträger. Der Nobelpreis für seine Arbeiten im Innenohr und am Gleichgewichtsorgan konnte ihm erst mit einjähriger Verspätung überreicht werden, da er zum Zeitpunkt der Verleihung im Jahr 1915 in einem kasachischen Kriegsgefangenenlager interniert war – wo er seine Studien des Gehörapparates allerdings weitestgehend ergänzen konnte. Barany war ein Vertreter der großen Epoche der zweiten Wiener medizinischen Schule mit Theodor Billroth als Begründer der modernen Bauchchirurgie, dem Anatomen Emil Zuckerkandl aber auch Eduard Zirm, dem 1905 die 1. Hornhauttransplantation der Welt gelang oder Emerich Ullmann, mit der Nierentransplantation an einem Hund die weltweit erste erfolgreiche Organtransplantation vornahm.
    Ihr Handwerkszeug bekamen diese Mediziner von einem Wiener Handwerksbetrieb: Carl Reiner ist eines der ältesten Medizintechnik-Unternehmen Österreichs und geht zurück auf den 1842 geborenen Carl B. Reiner, der das Gewerbe des „bürgerlichen chirurgischen Instrumentenmachers“ erlernte.
    Erstaunlich genug, dass dieses Unternehmen bis heute medizinische Spezialgeräte in feinster Handarbeit herstellt. Wie aber konnte man im 19.Jahrhundert all diese OPs und schmerzhaften Behandlungen durchführen? Alkohol, Opiate, Nervenkompression, Kälte – die früheren Methoden zur Schmerzvermeidung bei operativen Eingriffen will man nicht am eigenen Leib verspüren. Die erste Äthernarkose in Österreichs erfolgte 1847 bei der Durchführung einer Beinamputation.
    Einer der Pioniere und der Begründer der Anästhesie als eigenständiges Fach in Österreich ist Otto Mayrhofer, der unmittelbar nach dem 2.WK an neuen Methoden der Intensivmedizin zu forschen begann. Zur selben Zeit – mit Kriegsende – übernahmen der französische Besatzungssoldat Michel Rambaud und ein Tiroler Bierbrauer eine stillgelegte Brauerei in Kundl und begannen dort mit der weltweit ersten industriellen Produktion des damals erst in kleinen Mengen herstellbaren Penicillin. Das Unternehmen Sandoz/​Novartis stellt in Kundl bis heute Penicillin her – als einziges Unternehmen in Europa.
    Die Tradition der berühmten Ärzte aber setzte nach dem Zweiten Weltkrieg der Internist Karl Fellinger fort. Berühmte Patienten aus aller Welt kamen nach Wien, um sich von Fellinger behandeln zu lassen. Seine Fernsehsendung „Der gläserne Mensch“ machte Medizin auch für Laien verständlich. Ohne Antibiotika und ohne Intensivmedizin wären die heute zur Routine zählenden großen Organtransplantationen – Herz, Nieren, Lunge – undenkbar.
    Der Erste, der in Österreich eine Herztransplantation wagte, war Raimund Margreiter aus Innsbruck und sein Innsbrucker Team verpflanzte auch dem Briefbombenopfer Theo Kelz zwei Spenderhände – weltweit war dies eine der ersten derartigen Transplantation. Österreich ist bis heute eine Hochburg der Transplantationsmedizin und Namen wie Ferdinand Mühlbacher (Transplantierte Laudas Niere), Hanno Millesi (Zilks Hand), Walter Klepetko (Lunge) und Hildegunde Piza (gemeinsam mit Margreiter die Hände von Briefbombenopfer Theo Keltz) prägen die jüngere heimische Medizingeschichte. (Text: ARD alpha)
    Deutsche TV-PremiereSa 22.07.2023ARD alphaOriginal-TV-PremiereSa 15.10.2022ORF III

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