Queen of the South – Review

Hauptdarstellerinnen überzeugen in süffiger Kriminovela – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 08.08.2016, 15:00 Uhr

Früher wurden sie als Trash verlacht, heute werden sie kopiert: südamerikanische Telenovelas. Nachdem der adoleszent orientierte Glitzerkanal CW mit „Jane the Virgin“ vor zwei Jahren aus einer obskuren venezolanischen Seifenoper einen bis hoch zu den Golden Globes bejubelten Hit gefertigt hatte, zieht nun das USA Network nach: „Queen of the South“ ist das Remake einer mexikanischen Telenovela, die für den US-Sender Telemundo produziert worden war und hauptsächlich in den USA lebende Latinos bediente. Anders als bei „Jane the Virgin“ stehen allerdings weniger Romantik und Comedy, sondern Crime, Gore und Swag im Mittelpunkt – das ist ungewöhnlich genug. Dass hier die weiblichen Charaktere die wahren Badasses sind, ist in Zeiten von „Jessica Jones“ und „Wynonna Earp“ zwar nichts Neues mehr, im Genre des Drogenthrillers aber trotzdem eine Seltenheit. Ein weibliches „Narcos“ also? Ein „Scarface“ für Ladies? Es klingt vielversprechend.

Die Eröffnungssequenz macht denn auch keine Kompromisse: Da schreitet Protagonistin Teresa Mendoza (Alice Braga) als Power-Fashionista im weißen Business-Blazer, mit goldenem Schuhwerk, Sonnenbrille und Bodyguards, vom Hubschrauber aus in ihre pompöse Villa und erklärt uns im stolzen Voiceover, sie sei die mächtigste Drogenkönigin der Welt. Kaum spricht sie das aus, wird sie von Kugeln niedergestreckt und liegt sterbend in ihrem Blut. Nicht schlecht: M. A. Fortin und Joshua John Miller, die Adaptoren der Telenovela, lassen die Hauptfigur quasi aus dem Grab heraus als Erzählerin wirken. Mehr noch: An neuralgischen Punkten der Erzählung wird Teresa Besuch ihres älteren Ichs erhalten, das sie stets aufs Neue zu konsequenten Entscheidungen motiviert – sie selbst als ihre eigene Mentorin. Was figurenpsychologisch als Psychose gedeutet werden könnte, erweist sich in den ersten Episoden als cleverer, die Handlung vorantreibender Erzähltrick; nur überstrapazieren sollten die Macher das nicht.

Die Pilotfolge (straff inszeniert von der Dänin Charlotte Sieling, „Kommissarin Lund“, „Die Brücke – Transit in den Tod“) kippt Teresa in vierzig Minuten aus ihrer Existenz als Straßenkriminelle im mexikanischen Sinaloa, um sie an der Seite eines aufstrebenden Drogendealers kurz in Glück und Reichtum leben zu lassen, bis sie am Ende in Gewahrsam eines Drogenkartells 2000 Kilometer weiter nordöstlich, im texanischen Dallas, auf Null zu stellen. Zuvor wird sie noch vergewaltigt und jagt ihrem Peiniger eine Kugel ins Hirn. Das ist viel Holz für wenige Szenen; „Queen of the South“ macht überraschend viel daraus, ohne allerdings das Novelahafte je ganz abstreifen zu können bzw. wollen.

Der Traumprinz, der Teresa als galanter Schläger aus den Fittichen eines Kleinkriminellen befreit, bleibt Randfigur und Funktionsträger, der Teresa mit der Drogenbranche vertraut macht und ihr einen Fluchtplan ausklügelt, sollte er niedergeschossen werden; was konsequenterweise auch in dem Moment sofort geschieht, in dem er im Kartell weit genug aufgestiegen ist und mit Teresa erfüllenden Sex im Dekor eines leicht gammlig gewordenen Campari-Werbespots hatte.

Der Traumprinz hatte es sich wohl mit dem Drogenboss Don Epifamio verscherzt – der Don wird, als Gast, vom leicht knittrig gewordenen Joaquim de Almeida gespielt, einem von Hollywoods Lieblings-Latinoschurken, bekannt aus Robert Rodriguez’ „Desperado“. Teresa ahnt nichts davon, folgt also dem Fluchtplan ihres toten Lovers, flieht mit falschem Pass in Richtung Don Epifamio, der ihr dann aber keineswegs helfen, sondern sie, im Gegenteil, um die Ecke bringen möchte. Mit Mühe kann Teresa fliehen, in einer staubigen Wüstentankstelle wird sie von einem schweigsamen Alten mit Skorpiongift gesundgepflegt, dann wieder gekidnappt, nur um schließlich im besagten Dallas wieder aufzuwachen, gefangen in einem Käfig.

Veronica Falcón als Camila Vargas
In den wenigen Szenen, die hier nur referiert werden können, klingt das schon genau nach der Art atemloser Kolportage, die zu sein „Queen of the South“ erst gar nicht verhehlen will. Immerhin, die Macher verstehen sich drauf: Niemand Geringerer als Giorgio Moroder klebt seine pulsierenden Synthie-Beats hinter die Actionszenen, sinistre Drogenschergen flanieren durch den Plot, es werden geheime Telefone genutzt und Hände abgehackt, Teresa darf in Zeitlupe vor explodierenden Autos davonlaufen und in einer besonders käsigen Sequenz durch einen Türspalt den hitzigen Dialog zweier Obergangster belauschen: Wie sich Don Epifamio, der Gouverneur werden und sich deshalb temporär aus dem Drogenbusiness zurückziehen möchte, und seine Gattin Camila Vargas (gebieterisch: Veronica Falcón), die das Geschäft selbst führen möchte, da in einem gediegenen Hacienda-Zimmer ans Leder gehen, das ist generische Telenovela, wie man sie kennt oder sie sich vorstellt und nicht unbedingt toll finden muss.

Während Alice Braga (bekannt als Weltuntergangsgefährtin von Will Smith in „I Am Legend“) in beiden Stadien ihrer Hauptrolle eine gute Figur macht und sich Falcon rasch als faszinierende Antagonistin herausstellt (und somit zwei Frauen Ü30 bzw. Ü40 das Geschehen dominieren – selten genug), bleiben die weiteren Hauptfiguren eingangs eher unterbelichtet: Es gibt zwar ein willkommenes Wiedersehen mit Justina Machado aus „Six Feet Under“ in der Rolle von Teresas Freundin Brenda, die sich samt Sohn ebenfalls auf der Flucht vor Epifamios Häschern befindet, doch über Gerardo Taracena (aus Mel Gibsons „Apocalypto“) als Epifamios Interims-Vertreter und Hemky Madera als dessen potenziell tiefgründiger Mann fürs Grobe kann man noch wenig sagen.

Dafür kommen in der zweiten Episode noch mehr tragende Figuren hinzu. In Dallas erfährt Teresa nämlich, dass sie im Herzen des Drogenimperiums von Camila Vargas gelandet ist, die als Kartellchefin mittlerweile von Gefängniszelle zu Familienfeier eilt wie Tony Soprano oder Don Corleone. Gestorbenen Drogenkurierinnen werden dort die geschluckten Drogentütchen aus dem Bauch herausoperiert; andere Mädchen werden zugedröhnt als Prostituierte verhökert. Teresa stellt sich ­­- erste Stufe auf der Leiter nach oben! ­­- sogleich selbst als Kurierin zur Verfügung, und die gesamte Sequenz, in der sie 23 Tütchen schlucken und innerhalb der episodentitelgebenden vierzig Minuten („Cuarenta Minutos“) wieder auskotzen muss, ist mitsamt halsbrecherischer Fahrt zum Flughafen und nervösem Gang durch die Security strapaziös spannend geraten. Camilas attraktiver Handlanger James (Peter Gadiot, „The Forbidden Girl“) bringt sich dabei dezent als Teresas neues Love Interest in Stellung.

Gelungene Passagen wie diese werden indes teuer erkauft durch Szenen, die man in ihrer bräsigen Operettenhaftigkeit selbst aus der „Lindenstraße“ gestrichen hätte. Camilas Besuch bei ihrem öligen Anwalt (Mark Consuelos aus „Missing – Verzweifelt gesucht“), mit dem sie ihr Business diversifizieren möchte, wirkt wie aus der „Nackten Kanone“ importiert, wenn der Jurist der Drogenkönigin etwa ein Bonbon reicht: „Cherry mint, is that not a terrific candy?“ – „Sour.“ – „But sweet. Like life.“ Au weia.

Produktionstechnisch ungelenk ist der unentschlossene Mix aus Spanisch und Englisch. Während Teresa im Original nach Spanien umsiedelt, verschlägt es sie im Remake nach Texas, was wohl der US-Zielgruppe entgegenkommen soll. Warum aber auch die spanischsprachigen Figuren meist Englisch miteinander sprechen bzw. nach zwei Alibi-Sätzen vom Spanischen ins Englische wechseln, ist damit nicht erklärt.

Sei’s drum. Ob es mehr als die dreizehn Folgen der ersten Staffel benötigt, bis Teresa ihr eingangs demonstriertes Ende findet, ist noch nicht raus. Fest steht aber, dass die ersten Episoden weniger auf ausgefuchste Mystery setzen denn auf stringentes Vorwärtserzählen mit Sinn für guten Suspense und deutlich weniger Sinn für gute Dialoge. Braga und Falcon spielen mit Inbrunst und machen durchaus Lust auf einen erbitterten Zweikampf. Doch auch wenn in „Queen of the South“ nach Kräften zitiert und referenziert wird (Teresa schaut einmal sogar „Scarface“ im Fernsehen): Mit „Narcos“ zum Beispiel hat das alles am Ende doch relativ wenig zu tun. Statt eines Thrillers mit fast journalistischem Anspruch gibt’s hier eine – immerhin süffige – Kriminovela.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Queen of the South“.

Meine Wertung: 3/​5

Gian-Philip Andreas
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Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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